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Vogel veröffentlicht Diagnose: Doppel-Olympiasiegerin ist querschnittgelähmt

Kristina Vogel © Frontalvision.de/Arne Mill
Kristina Vogel © Frontalvision.de/Arne Mill

Die schlimmen Befürchtungen sind nun Gewissheit: Kristina Vogel, Doppel-Olympiasiegerin und elffache Weltmeisterin im Bahnradsport, ist querschnittgelähmt. Die 27-Jährige machte am Freitag den Schritt in die Öffentlichkeit. Der Bund Deutscher Radfahrer sagt Hilfe zu. Beim Chemnitzer Team Erdgas.2012 stehen Vogel weiter alle Türen offen.

Berlin/Erfurt/Chemnitz. Für Kristina Vogels engstes Umfeld, auch für ihre sportlichen Wegbegleiter wie Trainer, Athletinnen und Athleten sowie Betreuer, war die niederschmetternde Diagnose keine Überraschung mehr. Schon kurz nach dem tragischen Unfall am 26. Juni auf der Radrennbahn in Cottbus war klar: die erfolgreichste Radsportlerin der Welt ist querschnittgelähmt, fortan an den Rollstuhl gebunden. Nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Diagnose kam für einige überraschend – mittels Interviews in der neuesten Ausgabe des „Spiegel“ wählte die Erfurterin am Freitag den Weg in die Öffentlichkeit.

„Es ist scheiße, das kann man nicht anders sagen. Egal wie man es verpackt, ich kann nicht mehr laufen“, sagte die 27-Jährige dem Nachrichtenmagazin. „Aber was soll ich machen? Ich bin immer der Meinung, je schneller man eine neue Situation akzeptiert, desto besser kommt man damit klar“, so Vogel. Ihr Rückenmark sei ab dem siebten Brustwirbel durchtrennt, sie sei etwa ab Brust abwärts gelähmt, erklärt Vogel. „Dann verläuft die Grenze zwischen Gefühl und Taubheit etwas."

Emotional schildert sie die dramatischen Momente nach dem Unfall. Sie beschreibt den „ganz, ganz dollen Druck“, den sie plötzlich verspürte, „als wenn mein ganzer Körper angeschwollen wäre“. Sie erzählt, wie ihr Chemnitzer Teamkollege Maximilian Levy ihr die Hand hielt, weil „ich eine Hand brauchte, um mich festzuhalten“, und wie sie jemanden mit ihren Schuhen weggehen sah, aber nicht gemerkt hatte, dass sie ihr ausgezogen wurden: „Da war mir sofort klar, das war's. Jetzt bin ich querschnittgelähmt, das mit dem Laufen wird nichts mehr.“

Anschließend war sie im Unfall-Krankenhaus Berlin-Marzahn, in dem sie sich in der kommenden Woche auch in einer Pressekonferenz stellen will, mehrmals operiert worden. „Auf den ersten Röntgenbildern sieht meine Wirbelsäule aus wie ein Ikea-Klapptisch. Ich habe großes Glück, dass ich noch lebe und dass ich noch voll funktionsfähige Arme habe. Ich hätte auch gut halsabwärts gelähmt sein können“, sagt Vogel, die bereits zum zweiten Mal Opfer eines schweren Sturzes geworden ist. 2009 mit gerade 18 Jahren war sie beim Training auf der Straße schwer verunglückt, lag damals zwei Tage im künstliches Koma.

Die schlimme Verletzung hatte im deutschen Bahnrad-Lager große Bestürzung ausgelöst. Die erfolgreichste Sportlerin der Bahnradsport-Geschichte war in den vergangenen Jahren die Vorzeigefahrerin im deutschen Team. Ihr Chemnitzer Erdgas-Team hatte nach dem Unfall eine Spendenaktion unter dem Motto #staystrongkristina ins Leben gerufen, bei der rund 120.000 Euro zusammengekommen sind. Das Geld wird Vogels Familie zur Verfügung gestellt. „Als ich verstanden habe, was da draußen passiert – der Hammer. Zu merken, wie wichtig man für die Leute ist, wie viel Anteil sie genommen haben. Blöd, dass man erst so einen Unfall haben muss, um das zu kapieren“, sagt Vogel. Das Geld wolle sie nun dazu verwenden, ein Spezialauto zu kaufen sowie „einen geilen Rollstuhl mit Carbonfelgen“.

Erdgas-Teamchef Michael Hübner betonte am Freitag, dass Vogel beim Team immer eine Tür offen stehen werde. „Sie wird immer dazugehören, wenn sie es möchte. In welcher Rolle – das wird die Zeit zeigen“, sagte der siebenfache Weltmeister, der seiner Vorzeige-Athletin weitere Unterstützung zusagte. „Ich habe Kristina charakterlich als Menschen kennengelernt, der nie aufgeben wird“, sagte Hübner, der Vogel auch eine Rückkehr in den Sport zutraut. Im Team soll die entstandene Lücke auf mehrere Schultern verteilt werden – gleichzeitig gäbe es schon vorsichtige Überlegungen, eine Fahrerin zu verpflichten. Neben Vogel gehören momentan Pauline Grabosch, Maximilian Levy, Maximilian Dörnbach und Nik Schröter zum Team.

Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) sagte Vogel ebenfalls seine Unterstützung zu. Das Interview „zeigt, was für ein wundervoller Mensch Kristina Vogel ist“, sagte BDR-Präsident Rudolf Scharping in einer Mitteilung. „Der Bund Deutscher Radfahrer wird sie uneingeschränkt und mit ganzer Kraft unterstützen." BDR-Sportdirektor Patrick Moster ergänzte: „Der Verband wird Kristina Vogel jede Hilfe zukommen lassen, die sie jetzt braucht."

Nach dem Unfall war zunächst eine Nachrichtensperre verhängt worden. „Ich wollte nicht, dass man mich so verletzt sieht“, erklärt Vogel. Weggefährten wie Miriam Welte, mit der sie 2012 Olympiasiegerin und vier Mal Weltmeisterin im Teamsprint wurde, und Bundestrainer Detlef UIbel zeigten sich angesichts des Schritts in die Öffentlichkeit erleichtert. „Wir hatten schon einige Wochen Zeit, die Diagnose zu verarbeiten und uns an den Gedanken, Kristina im Rollstuhl zu sehen, zu gewöhnen. Das war extrem schwer. Ich habe aber Kontakt mir ihr und den Eindruck, dass sie die Situation gut angenommen hat – das hilf auch mir, mit dem Unfall umzugehen“, sagte Welte am Freitag. Uibel äußerte sich ähnlich: „Die letzten Wochen war der Unfall schon nicht mehr so präsent, jetzt kommt natürlich alles wieder hoch. Auf der anderen Seite ist jetzt auch eine Last weg: Durch den Schritt von Kristina an die Öffentlichkeit können wir alle etwas freier mit dem Unfall umgehen.“

Wie Vogels Zukunft aussieht, ist der 27-Jährigen noch nicht klar. „Ich muss jetzt erst mal meine Lähmung verstehen“, so Vogel. Ihr Arbeitgeber, die Bundespolizei, unterstütze sie und zeige ihr Perspektiven auf, was sie mit ihrer Lähmung noch leisten könne. „Ich kann nur froh sein, dass ich auf Lebenszeit verbeamtet bin.“ Ende des Jahres möchte die Erfurterin das Krankenhaus verlassen können - ein ehrgeiziges Ziel, wie sie selbst zugibt. Denn sie müsse sich unter anderem allein anziehen und selbstständig in den Rollstuhl setzen können. Außerdem müsse das Haus von Vogel und ihrem Lebensgefährten Michael Seidenbecher, einem ehemaligen Radprofi, noch umgebaut werden. „Eine Lösung für die Treppe muss her. Ich will so wenig wie möglich auf Hilfe angewiesen sein. Denn, ja, ich kann nicht mehr laufen, aber das eigentlich Schlimmste für mich ist, abhängig zu sein“, sagt Vogel.